Ich nutze diesen Blog als Instrument der Bewältigung einer persönlichen und familiären Krisensituation. Noch nie in meinem Leben war ich so direkt und intensiv mit dem Thema Intensivmedizin, Leben und Tod, Rehabilitation und Pflege befasst wie seit dem 16.10.2018 - dem Tag ihres Herzinfarktes, der deutlich komplizierter verlief als andere und der uns eungezählte Besuche auf der Intensivstation bereitete. Es erscheint mir produktiver zu schreiben, weil es das Denken befördert und die Möglichkeit eröffnet, das Gedachte loszuwerden. Es kann das Reden mit vielen Menschen und die vielen Wiederholungen des immer wieder Gleichen ersparen. Allen, die sich wirklich interessieren, bringt es einen Mehrwert.
Ich mag die Denkfigur des Flaneurs, der sich aufmerksam und scheinbar ohne Ziel durch die Straßencafés treiben lässt, sich da und dort niederlässt, aufmerksam zuhört und dem Zufall breite Angriffsfläche bietet. So kommt es zu Begegnungen und Kontakten, die lebensverändernd sein können. Auf diese Weise sind schon viele interessante Wendungen, die mich sehr bereichert haben, in mein Leben gekommen ... Tätigkeit als Berater in Unternehmenskrisen, Kontakt in die USA, Lehre an der evangelischen Hochschule in Nürnberg ...
Ihr (zweiter) Herzinfarkt ist eine weitere solche Wendung, die der Zufall mir nun aufdrückt. Ich hätte im Straßencafé des Lebens vielleicht interessiert hingehört, wäre aber dann weiter gegangen. Das geht jetzt nicht. Ich habe einige Zeit gebraucht, um die Situation nun so anzunehmen, wie sie ist, und die Wendung als Chance zu betrachten. Ich werde nun auf der Arbeit zu denen gehören, die ich bisher verurteilt habe - nämlich zu denjenigen, die sich wegducken, wenn es um Zusatztätigkeiten geht, zu denjenigen, die eher Dienst nach Vorschrift machen. Dieser Blog mag eine kleine Entschädigung sein, ja gewissermaßen eine Dokumentation eines Forschungsprojekts zur Bewältigung von Krankheit, Leiden und Tod - zunächst als Angehöriger und als Vorbereitung für die Zeit, in der ich selbst "an der Rampe stehen" werde.
Wahrscheinlich gelange ich auch zu Innensichten des offenkundigen Pflegenotstands; dies einer Perspektive, die ansonsten wohl nur ein Investigativjournalist einnehmen könnte. Ich werde mich bemühen, meine Äußerungen so weit wie möglich zu objektivieren.
Das Ende dieser Episode ist ebenso offen wie vorbestimmt - wie das Leben selbst. Es wird viel spannender als ein Krimi, bei dem der Tod ja stets am Anfang steht und man am Ende weiß, wie es dazu kam. Hier steht die Aufklärung der Ursache am Anfang - Herzinfarkt mit Herzklappenriss. Nun läuft der Film rückwärts und niemand weiß, wie viele Seitenstränge in Form von Reiseberichten, Familiensagas, Weihnachtsschnulzen, Kindergeburtstagen, etc. noch in die Zeit bis zur "Vollendung der Tat" eingewoben werden.Also: flanieren wir weiter ...