Grenzen der Arbeitsteilung

oder: geteilter Dienst

Uwe Kaspers am 16.01.2019

Grenzen der Arbeitsteilung

Arbeitsteilung verbunden mit extrem hoher Produktivität Einzelner in mehr oder weniger engen ökonomischen Nieschen ist das Erfolgsmodell, das unserem Reichtum zu Grunde liegt. Das was ich ziemlich gut kann, ist sehr speziell und schließt eine unfassbar große Schar an Aktivitäten, die andere besser können und deshalb auch erledigen sollen, für mich aus. Ich lasse also besser die Finger von Gasheizungen, Dachanschlüssen und Fliesen, aber auch von Blutdruckmitteln und Dialysemaschinen. Folgenreiche Fehler könnten mir unterlaufen und es würde sich kaum lohnen, mir die Qualifikation 'draufzuschaffen'. Die Spezialisten sind hier richtig.

Eine andere Form der Arbeitsteilung beschreibt Udo Lindenberg so: "Hätte Bach seinen Müll selbst runtertragen müssen, hätte er so manche Kantate nicht geschrieben." Ich trage zwar den Müll runter und schiebe oft die Tonnen vor die Türe, putze aber seit 20 Jahren nicht mehr unsere Wohnung. Ich behaupte, dies zu können, sollte aber vielleicht in der Zeit besser Klausuren korrigieren. Von dieser Kategorie gibt es eine Menge weiterer Tätigkeiten - könnte ich, erledige aber in der selben Zeit hochwertigere Arbeit.

Füttern ist anders

Wie aber ist es mit dem Füttern im Krankenhaus? Vordergründig betrachtet ist dies wie Müll runtertragen. Das kann jeder. Es wäre leicht zu delegieren. In der Zeit, in der ich zum Füttern ins Krankenhaus und wieder zurück fahre, wäre es mir leicht möglich, genug Geld zu verdienen, um dies zu beauftragen. Hier aber kommt eine ganzes Bündel an psychologischen Mechanismen, die die Vorteile der Arbeitsteilung überstrahlen, zur Wirkung.

Wohl das stärkste: Spiegelneuronen feuern, die beobachtete Hilflosigkeit schafft ein Abbild in der eigenen Psyche und es erscheint geradezu wohltuend und entspannend, an dieser Situation durch die Gabe von Essen und Trinken etwas ändern zu können. Nahrung geben zu können, ist so viel befriedigender als nur "blöd rumzustehen", während die Pfleger Stress haben.

Offensichtlich gibt es eine Präferenz der Sorge für Menschen, denen wir genetisch näher stehen. Mein Antrieb zum Füttern von Menschen, mit denen ich deutlich weniger genetische Dispositionen teile, ist jedenfalls fast gleich null. In der eigenen auf- und absteigenden Linie von Verwandtschaft ist dies vollkommen anders - ein Prinzip, das uns in der Steinzeit (Lebenerwartung dort in der Größenordnung von 30 Jahren) wahrscheinlich zu einer guten Gleichverteilung der Fürsorge geführt hat.

Direkte Reziprozität - also der Erwartung von dem alten Menschen Hilfe zu bekommen - kann es nicht sein. Ich erwidere etwas, was ich schon als Kind bekommen habe, ohne noch eine entsprechende Gegenleistung erwarten zu können.

Indirekte Reziprozität schon eher: die eigene Hilfeleistung führt zu einem Aufbau von Reputation und damit zu der Erwartung, dass Dritte - vielleicht die eigenen Kinder und Enkel oder Freunde und Kollegen - mir helfen. Das scheint zu funktionieren. Das merke ich insbesondere bei Kollegen, die sich tatsächlich für mich ins Zeug legen, wofür ich sehr dankbar bin.

Seitdem wir das Thema Essen auf der Intensivstation kultiviert haben, hat sich dessen Stellenwert verändert. Zuerst die große Erleichterung, endlich eine Dimension normalen Lebens zurück gewonnen zu haben und die Freude, dass nach gut 80 Tagen Sondenernährung das Schlucken noch gut funktioniert, jetzt aber der latente Frust nicht genug Essen zu können, um wieder Muskeln aufzubauen und nicht genug Trinken zu können, um der Niere genug Flüssigkeit zu geben. Die Ärzte helfen mit hochkalorischen Drinks und Infusionen nach. Dem 'nicht Essen dürfen' ist nach wenigen Tagen ein 'nicht genug Essen können' gewichen. Das ist besser als vorher, aber noch nicht wirklich entspannt. Den Part des Essens haben wir jedenfalls nun zuverlässig jeden Mittag und Abend übernommen. Dieser bewusste Verzicht auf Arbeitsteilung verschärft die Logistik und bringt uns nun einen täglichen 'geteilten Dienst' in der Klinik.

Die Wetterlage

Seit nun mehreren Tagen läuft der bisher erfolgreiche Versuch, die Dialyse abgeschaltet zu lassen. Die Niere, die schon arbeitet, soll nun richtig anspringen. Die Beatmung ist ausgeschaltet. Die Atmung wird aber nun immer wieder durch Sauerstoff-Anreicherungen in der Nase und durch Inhallationen unterstützt. Für das Ziel, vielleicht ohne Dialyse leben zu können, macht es wohl Sinn die Intensivbehandlung auch noch über den nun 94. Tag hinaus fortzuführen.

Die "Physios" kommen nun an jedem Werktag. Vom Bett geht es für zwei Stunden täglich in den Stuhl. Die "Strippen" für Infusionen und Ableitungen der Vitalwerte sind zwar weniger geworden, machen die Veränderung der Lage aber weiterhin sehr aufwendig. Die Fahrt im Rollstuhl in die Cafeteria ist nun keine Utopie mehr. Aufrichten ging nur für - immerhin - wenige Sekunden - der Kreislauf muss sich wohl noch weiter verbessern.