Von der Reha zum Nahtod
Die letzten Wochen führten uns wieder durch ein Wechselbad von scheinbar unausweichlichem Tod und nun doch der ernsthaften Vorbereitung auf die Krankenhausentlassung
Es ist ganz erstaunlich, auf welchen Minimalzustand sich ein alter Körper samt Psyche herunterregeln kann, wenn ein Virus den Körper angreift und er diesem aus eigener Kraft nichts entgegenzusetzen mag. Nach dem Abbruch der "Reha" kam es ja zur Krankenhauseinweisung in ein ganz ordentliches Kreiskrankenhaus in der Eifel. Es mögen sicher 2000 km gewesen sein, die wir nun zu den tägliche Besuchen dort zurückgelegt haben, um zu beobachten, wie sich Körper und Geist verabschiedeten. So scheint Sterben abzulaufen. Ein komplett geschwächter Körper, der keine Gabel mehr führen und keinen Trinkbecher mehr halten kann, eine Reduzierung der Nahrunhsaufnahme auf null und die Aufnahme von Flüssigkeit im Umfang von nur wenigen Schlucken pro Tag. Dies wurde begleitet von einer Infusionstherapie mit Antibiotika. Der Verlauf brachte uns schließlich vor die Entscheidung über die Wiederaufnahme von künstlicher Ernährung - zunächst über Glukose in den Blutkreislauf. Wir kamen zu dem Ergebnis, dies abzulehnen. Die Ärzte und Pfleger vergewisserten sich mehrfach ob unserer Entschlossenheit. Kaum eine Moment des Gebrauchs der Vollmacht passte so schlecht zu ihrem Namen - Vorsorgevollmacht - wie dieser. Wir sahen den nahen Tod vor Augen und den Einsatz von Schmerzmitteln zur Linderungen der offensichtli h durch das Liegen und die Bewegungslosigkeit verursachten Schmerzen für angezeigt. Der behandelten Arzt nahm unsere Entscheidung zur Kenntnis, bestand aber darauf, seine 'Baustellen' - sprich die Antibiotikatherapie planmäßig zu beenden. Wir waren darauf eingerichtet, dass die Woche nach Ostern, die letzte Woche des letztlich vergeblichen Kampfes um die Rückkehr in die Nähe einer Normalsituation sein können.
Ende der "Verbannung"
Ein Nebengleis unsere Bemühungen bezog sich darauf, eine Verlegung an den Heimatort zu ermöglichen. Um dies zu erreichen spielten wir nun erstmal bewusst die Karte 'Privatpatient' und persönliche Kontakte. Wir wollten den in Verbindung der Aufnahme der heimatfernen Reha eingetretenen Zustand des Ausschlusse vom heimischen Versorgungssystem endlich beenden. Wahrscheinlich sind alte Menschen mit der Globaldiagnose 'Alter keine begehrten Patienten. Aber über Beziehungen und den Hinweis auf Privatabrechnung von 165,- EUR pro Tag gelang dann doch die Verlegung in die heimische Klinik - in die Neurologie, um den geistigen Abbau untersuchen zu lassen. Ob dies medizinisch sinnvoll war, ist zweifelhaft. CO2 reduzierend wirkte es auf den Fall. Letztlich haben wir uns damit Zeit gekauft und Stunden im Auto ins Krankenzimmer zurück verlagert.
Die Verlegung in die Uniklinik hat sich letztlich gelohnt. Plötzlich kam der Appetit zurück und so etwas wie Durst. Dies war umso erstaunlicher, weil wir nur Tage vorher glaubten, Zeugen eines Sterbeprozesses zu sein. Als Privatpatient genießt man den Vorteil eines Einzelzimmers und den Vorzug, dass man sich am Abend eine Suppe bestellen kann. Es gibt Tomaten-, Spargelcreme- und Gulaschsuppe - wohl aus der Dose. Stellen wir uns mal vor, in jedem Krankenhaus gäbe es auf jeder Station eine kleine Küche mit einer Mikrowelle. Dann könnten alle Angehörigen die mitgebrachte Konservendose selbst öffnen und für die Patienten Suppe erhitzen - Privatstationsstandard durch do it yourself zum Kasssentarif.
Die Entwicklung des Gesundheitszustands in der Heimatklinik nahm einen erstaunlich guten Verlauf. War es die entspannte Atmosphäre, die wieder regelmäßigen Besuche zweimal am Tag ... oder war die Diagnose der Nahtoderfahrung der Wochen vorher schlicht "Eifel"? Jedenfalls stand plötzlich tatsächlich in Aussicht, die Klinik verlassen zu können, womit der nächste Akt unserer Erfahrung mit dem real existierenden Gesundheitswesen begann.
Nestbau ohne Material
Innerhalb von gut einer Woche war nun Aussicht auf den Tag, auf den wir sechseinhalb Monate hingearbeitet haben. Dazu mussten wir das zu Hause eingerichtete Pflegezimmer wieder aktivieren. Pflegebett, Rollstuhl, Toiletten- und Dusch-Rollstuhl, Fahrradtrainer, Bettauflage, Medikamentengabe, ambulante Pflegeleistungen, Physiotherapeut, Ergotherapeut, Dekubitusmatratze, Schutzhosen, Inkontinenzeinlagen, 24-Stundenbetreuung ... - für alles ein Zettel. Wir lernten, dass es eine Menge an Leistungen gibt, dass dies aber noch lange nicht bedeutet, diese Leistungen auch zu bekommen. Es gibt in Bonn keinen Pflegedienst, der aus dem Stand dreimal täglich zu angemessenen Uhrzeiten häusliche Pflege leisten kann und es gibt keinen Physiotherapeuten, der im Rahmen von Hausbesuchen Bewegungstherapie erbringen mag. Genauer gesagt, zu den Preisen, die mit den Kassen ausgehandelt wurden, gibt es zu wenige und deshalb für uns als letzte jüngste Nachfrager keine.
Das ist nicht erstaunlich, weil es in der Pflege an wesentlichen Elemente eines Marktes mangelt. Die Kranken- und Pflegekassen nutzen ihre marktbeherrschende Stellung, indem sie den Anbietern von Pflegeleistungen verbieten, mit ihren Kunden höhere Preise als mit ihnen vereinbart abzurechnen. Damit kann sich kein Knappheitspreis einstellen und Kunden, die Pflege brauchen und bereit sind, den Marktpreis zu zahlen oder den Aufpreis dafür zu zahlen, finden trotz Zahlungsbereitschaft kein Angebot. Ein Pflegedienst ohne Vertrag mit Pflegekassen ist nicht existenzfähig und besteht deshalb nicht. Anders ist es bei Physiotherapeuten. Hier gibt es einzelne, die auf einen Vertrag mit Krankenkassen verzichten und sich nur privat verdingen.
Wenn man in Köln zu Messezeiten ein Hotelzimmer sucht, ist das keine Frage der Verfügbarkeit. Man findet immer ein Hotelzimmer; es fragt sich nur zu welchem Preis. Entsprechend hohe Hotelpreise ermuntern weitere Akteuere noch mehr Hotelzimmer anzubieten. Nicht so in der Pflege. Hier herrscht Rationierung. Die Kassen verhindern erfolgreich, dass sich ein Marktpreis einstellen kann und verpflichten die Anbieter auf einen Preis, der unter dem Marktpreis liegt. Auf diese Weise werden neue Anbieter vom Marktzugang abgeschreckt und überschüssige Nachfrager gehen leer aus. Die geradezu aberwitzige Folge für die Mitarbeiter ist, dass ihr Gehalt auf diese Weise auch nicht auf den Marktpreis ansteigen kann.
Ich habe wegen der wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben der Pflegekassen eine Eingabe an das Bundeskartellamt gemacht und moniert, dass die Pflegekassen ihren Vertragspartnern verbieten, mit ihren Kunden höhere Preise abzurechnen als mit den Kassen vereinbart. Wenn Hersteller ihren Händlern Mindest-Verkaufspreise vorschreiben, ist dies verboten. Wie mir das Kartellamt in einem ausführlichen Schreiben begründete, ist die Vorgabe von Höchst-Preisen durch den Staat kein Fall, in dem das Bundeskartellamt einschreiten könnte, weil die Behörde nur auf Wettbewerbsbeschränkungen durch den Unternehmenssektor reagieren darf. Ich möge mich an das BU desgesundheitsministerium wenden.
Es gab nach langen Recherchen nur einen Pflegedienst, der sich in der Lage sah, wenigstens zwei Einsätze - allerdings erst am Nachmittag und am Abend - anzubieten. Zwischenzeitlich hatten wir ein Vorstellungsgespräch eines Anbieters, der als Privatperson bereit war, ins Haus zu ziehen und für gut 4000 EUR - gerne auch zur Hälfte in Form von Schwarzgeld - Dauerpflege zu leisten. Ein freies Wochenende pro Monat und zwei Wochen Urlaub im Jahr reichten ihm. Er legte allerdings keinen Lebenlauf und nur unvollständige Referenzen vor, so dass wir von diesem Angebot Abstand nahmen. Schon vorher hatten wir mit einem Vermittler von polnischen Pflegekräften Kontakt aufgenommen und einen Bedarf in Aussicht gestellt. Das Währungsgefälle nach Polen und die EU-Dienstleistungsfreiheit bescherten uns so innerhalb kurzer Zeit Frau Maria (Name geändert), die wir kurz vor der Krankenhausentlassung in einer Telefonkonferenz kennen lernen durften. Maria aus Polen rettete uns - mit Verlaub - den Arsch!
Krankenhausentlassung nach 201 Tagen
Die Nächte vor der Krankenhausentlassung waren unruhig, nicht wegen äußerer Einflüsse, sondern weil unsere Hirne wohl nachts den gesamten Möglichkeitsraum der Zukunft durchscannen und bei verschiedenen Szenarien hängenblieben. Was ist, wenn Maria doch nicht kommt, der Pflegedienst sein Angebot zurückzieht oder wir uns mit dem Vorhaben der Pflege zu Hause komplett übernehmen. Wenige Tage vor der Entlassung kam es dann noch zur Begutachtung durch den medizinischen Dienst. Mit etwas Diskussion nach dem Motto, "sie kann ja sicher noch ..." und "nein, das kann sie nicht", folgte die Feststellung von Pflegegrad 5 - der Höchststufe. Das Haus hatten wir schon umgeräumt, der Tag der Entlassung konnte kommen.
Maria kam und wir waren mit zwei Personen vor Ort. Die erste Nacht lief problemlos. Im Rollstuhl in der Wohnung zu sitzen, von der aus sich die Patientin noch vor knapp 7 Monaten mit dem Auto bewegt hat, macht die Differenz an Reichweite in das Leben deutlich. Psychopharmaka helfen vielleicht etwas, dies zu verkraften. Zumindest ich habe es aufgegeben, den Medikamentencocktail vielen unterschiedlich großen Tabletten in verschiedenen Farben zu hinterfragen - Herz, Niere, Augen ... immer wieder aber auch Psyche. "Drogen + Kultur": dies Kombi geht ja ganz in Ordnung, "Drogen ohne Kultur" geht gar nicht. Zur Umgang mit Drogen eingebettet in ein meist kulturelles Ritual gehört aber auch die phasenweise Abstinenz und die bewusste Entscheidung, in einem bestimmen Rahmen wieder Drogen zu konsumieren, um sich das Leben etwas leichter zu machen. Im Zuge der Krankengeschichte gab es aber nie unsere bewusste Mitentscheidung, Psychopharmaka einzusetzen - geschweige denn eine Entscheidung der Patientin selbst. Wir sehen, dass der Mensch, mit dem wir nun täglich umgehen, nicht mehr der selbe ist, wie vor der Krankheit. Wir operieren mit einer durch Medikamente geformten Psyche. In alt bekannte Charakterzüge mischen sich irrationale Denkmuster, Verkennung von Realitäten, aber auch ein - wären da nicht die Wunderpillen - bewundernswertes sich Fügen in die neue, eingeschränkte Lage.
In den ersten Tagen fügt sich die Betreuung und die Versorgung des Haushalts durch Maria sehr gut. Dass sie einfache Pflegeleistungen geradezu routiniert beherrscht und verrichtet, war nicht zu erwarten. Dies führte dazu, dass der Pflegedienst seiner Leistungen reduzieren konnte. Die gute Entwicklung der Situation hat den Arzt und uns dazu ermutigt, die Psychopharmaka zu reduzieren. Dies stellte sich alles als zu optimistisch heraus. Denn es kam gleich am vierten Tage zu einem Eklat. Aus einer Mischung von Fehleinschätzung der Lage, sprachlichen Missverständnissen und Frust über die eigene Lage, kam es zum erste ernsthaften Konflikt zwsichen der Patientin und Maria, die bestimmt äußerte, die Heimreise antreten zu wollen. Ihr wurde von der bisherigen Herrin im Haus nahe gebracht, dass sie so ziemlich alles falsch mache, und fühlte sich so nicht gewollt. Der Konflikt war durchaus manifest und zunächst war keine Einsicht in die Hilfsbedürftigkeit und die Würdigung der übergroßen und aufopfernden Hilfe durch Maria zu erzielen. Nach einem aussichtslosen und natürlich völlig aussichtslosem Rundruf aller Kurzzeitpflegeeinrichtungen war die Ausweglosigkeit der Lage klar. Kurzzeitpflege funktioniert nur, wenn man sich Monate vorher anmeldet. Sie Antwort "Wir sind bis September ausgebucht.", kennzeichnet die Lage. Es wurde klar, wir arbeiten ohne jede Rückfallposition. Wenn Maria kündigt, bleiben nur noch wir. Ein tragfähiges Auffangsystem rundherum gibt es nicht. Entweder wir schaffen es mit dem jetzigen Arrangement oder es bleibt nur eine Heimunterbringung. Die Patientin wusste in ihrem Wahn die Vorzüge der Pflege zu Hause gar nicht zu schätzen, sondern machte sich über die Verschwendung Gedanken, die darin bestünde, wenn Maria den Kühlschrank unnötig hoch eingestellt habe. Unser Vor-Ort-Einsatz von mehr als 40 Stunden pro Woche wurde nicht gesehen. Was nun? Es folgten stundenlange Gespräche, die halfen, die verfahrene Situation wieder einzurenken. In Absprache mit den Arzt hielt wir uns die Möglichkeit offen, die Psyche der Patientin auch mit Medikamenten so zu beeinflussen, dass eine Hilfe in der eigenen vier Wänden möglich bliebt. Die Alternative einer Patientin, die aufgrund völliger Fehleinschätzung ihre Möglichkeiten alle Helfer ablehnt und vergrault und deshalb stationär untergebracht werden muss, wäre die schlechtere Lösung. Die Idee, die alte Frau wieder psychisch völlig ohne Psychopharmaka "zurückzuholen", war erst einmal gescheitert. Dass Maria nach vier Tagen die Brocken hinwerfen könnte, hatten wir nicht auf dem Zettel. Ein gerütteltes Maß an Wut darüber, dass die Stunden unseres Einsatzes und der fragile Erfolg des jetzigen Hilfesystems nicht nur nicht gewürdigt, sondern in Fehleinschätzung der Alternativen gar zerstört werden könnte, bestimmte die Gefühlslage. Die Gespräche halfen, den Konflikt zu kitten. Am Abend kam wieder die Einsicht, ohne Hilfe nicht klar zu kommen, und Maria, war noch einmal bereit, die Unverschämtheiten und die im Laufe des Tages mehrfach erfahrene Ablehnung hinten anzustellen und sich noch einmal unvoreingenommen auf die Lage einzulassen. Dass die Patientin selbst die neue Sitation zu Hause ablehnen könnte, hatten wir ausgeblendet und hat uns mächtig geschockt.
Einen Tag später schien dies wieder in Ordnung. Nun traten wieder körperliche Probleme in den Vordergrund. Das wohl zu lange Sitzen im Rollstuhl zeigte schon rote Stellen und die Zeiten außerhalb des Bettes musste rationiert werden. Wir soll das gehen, wenn der Transfer ins Bett und zurück einem Kraftakt erfordert, den Maria nicht leisten kann. Dies wird aber nun mehrfach täglich notwendig sei, wenn wir vermeiden wollen, dass die Haut in wenigen Tagen schlicht "durch" ist.
Sie nennen es Case-Management
Die administrative Fernsteuerung eines Patienten mit Pflegegrad 5, der zu Hause therapiert und gepflegt werden soll, erfordert neben der direkten Ansprache durch die Familie einen kleinen Bürobetrieb. Es gibt wegen jeder einzelnen Maßnahme und jedes einzelnen Gegenstands eine fröhliches Zettel-Pingpong zwischen Ärzten, Familie, Krankenkasse und Leistungserbringer. Es vergeht seit einiger Zeit keine Tag ohne Schrift-/Mailverkehr und Ausfüllen von Zetteln oder Transfer von Verordnungen, die immer wieder Name, Geburtsdatum und Versichertenummer erfordern. Die Versichertennummer kann ich mittlerweile auswendig.
Case-Management ist richtig klasse. Erstmal ist der Begriff ein Anglizismus - das hilft immer - und die Wortergänzung "-Management" adelt jede Banalität zu etwas, über das man erstmal grundsätzlich nachdenken sollte und markiert die Erhebung der Bildung über die "Nur-"Ausbildung. Man kann zu Case-Management Bücher schreiben, Bachelorarbeiten verfassen und Konferenzen abhalten. Die Idee: Man setzt halt über oder neben alle Spezialisten einen, der die Fäden für einen Fall zusammenhält.
Viele Mensche ohne Abitur und akademische Bildung können das schon lange. Wenn ich z.B. zu unserem Dönerladen am Ort oder zum Vietnamesen meines Vertrauens in Nürnberg gehe, dann sage ich "wie immer" und ich bekomme zu Hause eine Lamacun mit Dönerfleisch (Hähnchen) "mit Scharf" bzw. gebratene Nudeln mit Gemüse und Tofu. So geht Case-Management. Jemand kennt die Präferenzen und den Bedarf und beschleunigt so die Bedarfsdeckung.
Case-Management hat zwei banale auslösende Bedingungen: der Kunde kommt immer wieder und macht ordentlich Umsatz. Case-Management spart beiden Seiten Zeit und Nerven. Ich denke mir, dass es auch bei einer Krankenkasse nicht so super schwer sein sollte, zwei Abfragen zu programmieren.
1: SELECT versichertennummer FROM ausgaben WHERE SUM(betrag) >= 90_Prozent_Rang_Betrag
2: SELECT versichertennummer FROM dokumente WHERE Anzahl(messages) >= 90_Prozent_Rang_Messages
In beiden dieser Anfragen müsste sich Y115130251 (Nummer geändert) verfangen. Dann könnte mal jemand anrufen oder schreiben und uns mitteilen: "Hallo meine Name ist ..., ich habe gesehen, dass unsere Kasse für Ihre Mutter in den letzten Monaten ein kleines Einfamilienhaus aufgewendet hat, um sie wieder ins Leben zu holen. Dies hat eine ganze Reihe von Sachbearbeiterstunden gebunden. Wie es günstiger für uns ist, werden wir nun die Entscheidung über alle Hilfen für ihre Mutter zusammenführen. Ich bin dafür ihr Ansprechpartner."
Es geht hier nicht um Freundlichkeit oder um eine besonders zuvorkommende Behandlung. Es geht schlicht um Effizienz. Darüber hinaus geht es um Prophylaxe hinsichtlich der Grenzen der Belastung der Angehörigen. Die Überforderung der Angehörigen besteht ja nicht nur darin, den Alltag zu managen. Durch die Bearbeitung einer Unzahl von Papieren sorgen wir darüber hinaus dafür, dass der für jeden, der den Fall nur im Ansatz kennt, offensichtliche Hilfebedarf dokumentiert wird, so dass die Tatsachen als Entscheidungsgrundlage im Verwaltungsverfahren dienen können. Anstatt einfach ein Video von 2 Minuten oder Fotos von Wunden, Narben oder Dekubitus einzusenden, besteht unsere regelmäßige Aufgabe darin, einen aufgrund der Vorgeschichte medizinisch vollkommen klaren Bedarf in Formulare zu übersetzen, die offensichtlich dafür gemacht sind, in Grenzfällen zwischen Bedarf und Luxus zu unterscheiden. Macht es wirklich Sinn, bei Todkranken Menschen, für die die Krankenkasse bereits ein Vermögen investiert hat, dieseben Verfahren einzusetzen, wie bei Menschen, mit ungeklärtem Hilfebedarf? Unser Fall müsste bei der Krankenkasse doch nach den Aufwendungen der letzten Monate zumindest auf der ökonomischen Intensivstation liegen.
Eine besondere Episode spielte sich dann noch im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Physiotherapie ab. Die Krankenkasse will natürlich keine Physiotherapeuten bezahlen, die mit ihr keinen Vertrag haben. Nur durch die Begrenzung des Angebots lässt sich auf einem Markt ohne Preismechanismus die Nachfrage begrenzen. Wir konnten aber nur einen Physiotherapeuten finden, der keinen Kassenvertrag hat. Er kommt nun viermal pro Woche ins Haus. Die Krankenkasse verpflichtet uns einen Therapeuten mit Kassenzulassung zu suchen. Der Sachbearbeiter weist darauf hin, dass die Therapeuten auch Hausbesuche anbieten müssen. Weil sich dies für die Therapeuten aber nicht lohnt, besteht hier kein Angebot. Der Sachbearbeiter rät deshalb, wie folgt vorzugehen. Wir sollen zunächst neutral nach Terminen für Physiotherapie fragen und suggerieren, die Patientin könne in die Praxis kommen. Erst wenn wir Termine haben, sollen wir die Notwendigkeit des Hausbesuchs offenbaren. Sollte der Therapeut dann den Hausbesuch ablehnen, sollen wir dies der Kasse melden. Ah, so kaputt ist das System: Wir sollen also den Groll der Therapeuten über den anreizlosen Knebelvertrag der Krankenkassen hinsichtlich Hausbesuchen durch einen unfairen Trick auf uns ziehen und das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Dienstleister noch vor dem ersten Einsatz zerstören. Ich lehne diese Vorgehensweise ab, willige aber ein, nochmal die Vertragspartner der Krankenkasse durchzutelefonieren. Wir verabreden, dass mir die Krankenkasse eine Liste der Physiotherapeuten mit Kassenvertrag schickt. Die Liste (zwei gesannte Zettel) kommt auch umgehend. Es handelt sich um eine Adressliste ohne Telefon oder Email. Offensichtlich kann die Krankenkasse selbst mit ihren Vertragspartnern keinen Kontakt aufnehmen. Ich schreibe der Krankenkasse, dass die gelieferte Adressliste Substandard sei und ich der impliziten Aufforderung, sämtliche Kontaktdaten derer, die die Kasse ihre Gesundheitspartner nennt, per Google zu ermitteln. Mal schauen, wie diese Angelegenheit gelöst wird.
In das tägliche Engagement mischt sich hin und wieder der destruktive Gedanke, die Brocken hinzuwerfen und die Verantwortung für den Alltag Profis zu überantworten. In der Krankenhausphase waren wir nur Besucher, jetzt organisieren wir auch noch das halbe Krankenhaus, das Maria aus Polen im Kern zusammen hält.